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"Reinigung des Sports" durch Fußballstars: Millionenbeträge zur Verbesserung des Imagees


Stand: 21.08.2023 10:40 Uhr

Saudi-Arabien will sein Image aufpolieren und ködert Vereine sowie Fußball-Stars wie Ronaldo und Neymar mit Unsummen. Sogar Wintersport in der Wüste soll salonfähig werden. Wird das sogenannte Sportswashing noch kritisch hinterfragt?  

Für die einen ist es eine milliardenschwere Image-Kampagne auf dem Rücken des Sports, die schlicht ablenken soll von den Machenschaften eines laut Amnesty International menschenverachtenden Systems. Andere wiederum haben kein Problem damit, sich mit den mitunter unmoralischen Summen zu arrangieren, die Superstars des Fußballs wie Cristiano Ronaldo, Karim Benzema sowie Sadio Mané und Neymar nach Saudi-Arabien locken.

Streich: "Fußball ist hochpolitisch"

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Der Wahnsinn hat Methode. Und: "Es funktioniert ohne Probleme", sagt der für seine ungeschminkten Aussagen bekannte Bundesliga-Trainer Christian Streich: "Du kannst über den Fußball ganz viele politische Dinge versuchen zu legitimieren." Subtil durch die Strahlkraft der Weltstars und der damit verbundenen Anerkennung der Liga, die, wie es heißt, nun sogar die besten Teams in die Champions League entsenden will. Der Fußball werde als geeigneter Transmitter benutzt, Missstände würden weniger hinterfragt, so der 58-Jährige vom SC Freiburg über das Prinzip des Sportswashings: "Fußball ist hochpolitisch - wer was anderes behauptet, der hat nicht hingeschaut."

Kaufrausch und Transferoffensive

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Dabei findet es Streich in "keinster Weise verwerflich, dass sie probieren, eine Liga aufzubauen, in der ganz viele Stars spielen". Kaufrausch und Transferoffensive inklusive. Der frühere Handball-Bundestrainer Christian Prokop, der inzwischen erfolgreich bei der TSV Hannover-Burgdorf tätig ist, grätscht im NDR Sportclub dazwischen. "Jeder hat natürlich das Recht zu entscheiden, was er mit seiner Karriere anfängt", so der Coach. "Hier steht eindeutig das Geld im Vordergrund - nicht der Sport, nicht die Leidenschaft."

Prokop: "Gefällt mir nicht"

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Prokop hat vor allem im Fußball kein Verständnis für das Millionenspiel, weil schon länger unverhältnismäßig sei, was an Clubs und an Gehältern gezahlt wird. "Das gefällt mir nicht, das wird der ganzen Sportart schaden", sagt der 44-Jährige. Aber auch der Handball ist betroffen. Komplettes Unverständnis habe er, wenn ein 25-Jähriger wie der Portugiese André Gomes von der MT Melsungen in die saudische Liga zu Al Safa Sports Club wechselt. Ziel sollte doch sein, sich gegen die Besten in der stärksten Liga der Welt ("Das ist nun mal die Handball-Bundesliga") durchzubeißen, "was ich da mit Sicherheit nicht habe". Gomes hat sich anders entschieden und kassiert 900.000 Euro pro Jahr.

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Christian Prokop im NDR Sportclub © Screenshot

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Klopp: "Keine Limits mehr"

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Seinem Trainer-Kollegen beim englischen Fußball-Spitzenclub FC Liverpool, Jürgen Klopp, ist der Kaufrausch am Golf dagegen keineswegs unheimlich - vielleicht weil er exorbitante Summen aus der Premier League kennt. Wer Ronaldo 200 Millionen Euro pro Jahr bezahlen kann, Neymar die Hälfte und selbst einem alternden Benzema stattliche 50 Millionen Euro pro Saison überweist, "hat definitiv keine Limits mehr", so der einstige Dortmunder Meister-Coach. "So schaukelt es sich hoch", meint Streich. "Damit gehen die Gelder ins Unendliche; das wird nicht aufhören."

Katar - noch keine Entschädigung für Menschenrechtsverletzungen

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Auch aus Liverpool sind jüngst Roberto Firmino, Jordan Henderson und Fabinho ins Königreich am Persischen Golf gewechselt. "Wenn nach und nach immer mehr Spieler dahin kommen und immer mehr berichtet wird, werden wir mehr verstehen, was wichtig ist und es wird sich mehr zum Positiven verändern", glaubt Klopp. "Davon bin ich tatsächlich überzeugt." Die Organisation Human Rights Watch ist weniger zuversichtlich: "Die FIFA und die katarischen Behörden haben immer noch nicht die Arbeitsmigranten für die Menschenrechtsverletzungen entschädigt, die sie durch die WM 2022 in Katar erfahren haben."

Erste WM-Spielerin mit Hidschab

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Was kulturellen Austausch und Verständigung angeht, ist bei der von Spanien gewonnenen Fußball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland ein großer Schritt gemacht worden. Die Marokkanerin Nouhaila Benzina lief als erste Spielerin mit einem Hidschab auf, was die FIFA-Statuten vor Jahren noch verboten hatten. "Jedes Mädchen kann Fußball spielen! Egal, aus welcher Kultur es kommt, und welche Religion es hat", sagt Monika Staab, die einst beim 1. FFC Frankfurt Titel gefeiert und 90 Länder der Welt als Frauenfußball-Entwicklungshelferin bereist hat.

"Das öffnet eine Riesen-Tür im arabischen und muslimischen Raum", so die 64-Jährige. Sie arbeitet seit eineinhalb Jahren in Saudi-Arabien. "Mittlerweile haben sieben der großen Männerclubs auch eine Frauenabteilung."

Transferwahnsinn auch im Fußball der Frauen?

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Dass der Transferwahnsinn auch den Frauenfußball erfassen könnte, deute sich bereits an. "Ich bekomme mittlerweile fast täglich Anrufe von Trainern und Trainerinnen, die sich erkundigen, wie die Bedingungen vor Ort sind, weil sie darüber nachdenken, dort zu arbeiten", so Staab im Interview mit sportschau.de. Namen könne sie zwar nicht nennen, aber: "Es werden auch einige Top-Spielerinnen von der WM in die saudische Liga wechseln."

Handballer sind noch bodenständig

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Fußball, Tennis, Golf, Formel 1, Reitsport und natürlich Handball mit der seit 2019 in Katar gespielten Club-Weltmeisterschaft, die der SC Magdeburg zuletzt zweimal gewonnen hat, spielen momentan die erste Geige. Unsummen werden im Handball zwar nicht gezahlt, aber mehr als in Deutschland allemal. "Im Moment sind wir noch sehr bodenständig, noch sehr nah an unseren Fans", sagt Prokop über die Bundesliga. "Und gehaltsmäßig auch in einem verträglichen Rahmen."

Winterspiele in der Wüste

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Sehr umtriebig: Der saudi-arabische Sportminister Prinz Abdulaziz Bin Turki Al Faisa.

Geld spielt in Saudi-Arabien keine Rolle. Auch Wintersport ist möglich - so absurd es klingen mag. Während in den Alpen die Gletscher schmelzen, werden 2029 die asiatischen Winterspiele veranstaltet. In einem Skigebiet namens "Trojena" mitten in der Wüste, das noch gar nicht gebaut ist. Geschätzte 500 Milliarden US-Dollar soll das Projekt kosten, das Sportminister Prinz Abdulaziz Bin Turki Al Faisal als "großartigen Sieg für die saudische Nation und die Golfregion" bezeichnet.

Dass ausschließlich Kunstschnee "fällt" soll nicht von Interesse sein, weil die Energie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen werde. Der enorme Wasserverbrauch wird bewusst in Kauf genommen. Zumal der große Traum in Riad, Dubai und Doha die Ausrichtung der Olympischen Spiele ist. Koste es, was es wolle.

Staatsplan "Saudi Vision 2030"

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Die Fußball-WM wie im vergangenen Jahr in Katar scheint für Saudi-Arabien dagegen vorerst unerreichbar. Die Bewerbung für 2030 wird offenbar als gescheitert betrachtet. Ein neuer Versuch für das Turnier vier Jahre später gilt allerdings als wahrscheinlich. Das weltweite TV-Spektakel ist schließlich ein Puzzleteil des saudischen Staatsplans "Saudi Vision 2030". Kronprinz Mohammed bin Salman will sich weniger abhängig von Öl machen, investiert neben Kultur und Tourismus massiv in den Sport.

Auch in Vereine wie beispielsweise den englischen Premier-League-Club Newcastle United. Rund 373 Millionen Euro ließ sich der mit 80 Prozent an einem Dreier-Konsortium beteiligte Staatsfonds Public Investment Fund (PIF) die Übernahme kosten. 

AUDIO: "Sportswashing" in Saudi-Arabien? Wie das reiche Land den Sport kauft (5 Min)

Unermesslich reicher Staatsfonds

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Im Juni 2023 hat der PIF, dem Kronprinz Mohammed bin Salman vorsteht, 75 Prozent der Anteile am Klub Al-Hilal (Neymar) erworben. Weitere Clubs im PIF-Portfolio sind Al-Ittihad (Benzema), Al-Ahli (Firmino) und Al-Nassr (Ronaldo, Mané). Das Volumen des Staatsfonds liegt bei geschätzten 650 Milliarden US-Dollar - ein schier unerschöpfliches Reservoir für weitere Investitionen. Der PIF soll laut Sportschau bis 2030 zum größten Staatsfonds weltweit ausgebaut werden und Finanzanlagen von zwei Billionen US‑Dollar verwalten.

Fall Khashoggi - unvergessen

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Sportswashing hin oder her - menschliches Unrecht können all diese Aktivitäten nicht überdecken. Die Todesstrafe wird weiterhin vollstreckt, Reise- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Und: "LGBT-Personen werden diskriminiert und Frauen für ihren Einsatz für die Frauenrechte oder die friedliche Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung bestraft", so Human Rights Watch. In der Rangliste der Pressefreiheit rangiert Saudi-Arabien auf Platz 166, noch hinter Somalia, Afghanistan oder Russland.

Bei allem Streben nach Teilhabe und Verständigung im Sport sollte auch der gewaltsame Tod des in Ungnade gefallenen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi nicht vergessen werden. US-Geheimdienstberichten zufolge wurde Khashoggi 2018 auf Anordnung der Regierung Saudi-Arabiens in Istanbul ermordet.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 20.08.2023 | 22:50 Uhr

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Author: Katie Holland

Last Updated: 1704198122

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