Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wer ist denn eigentlich schuld?
Zwei Tage nach Thomas Rabes kontrollierter Sprengung des ehemaligen Verlags Gruner + Jahr hat der Rauch sich verzogen, der Blick auf die Trümmerlandschaft liegt frei, die "Geo"-Chefredaktion ist zurückgetreten, "Stern"-Chef Gregor Peter Schmitz übernimmt jetzt in den zwei, drei freien Minuten, die ihm am Tag so bleiben, auch noch diese offenbar nicht ganz so zeitaufwändige Aufgabe. Und die kopfschüttelnden Medienredaktionen beschäftigen sich weiter mit der Frage, wie das alles passieren konnte.
Auffällig ist, dass in so gut wie keinem Beitrag nüchtern erklärt wird, warum der Kahlschlag unter Umständen doch ganz sinnvoll sei und gut zur Strategie von Bertelsmann oder RTL passe. Das kann entweder daran liegen, dass die Betroffenheit in der eigenen Branche, die in diesem Fall auch noch für die Berichterstattung zuständig ist, den klaren Blick auf die Dinge verstellt. Es kann aber auch sein, dass hier tatsächlich einiges schiefgelaufen ist und dass das gesprengte Medienhochhaus gar nicht zerbröckelt quer auf der Straße liegen sollte.
Aber wer hat das alles zu verantworten? Thomas Rabe selbst? RTL? Bertelsmann? Der Medienökonom Armin Rott sagt im Gespräch mit Pia Behme für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres", allein die damalige Gruner-Führung verantwortlich zu machen, erscheine ihm nicht richtig, "denn wichtige Investitionen hätten auch aus Gütersloh kommen müssen". Aber der Verlag Gruner + Jahr sei im Bertelsmann-Konzern immer ein bisschen das Stiefkind gewesen.
Dass Bertelsmann nun je nach Sichtweise in einem Rutsch aufgeräumt oder alles in Schutt und Asche gelegt hat, hält Rott zwar für bedauerlich, aber grundsätzlich kann er die Entscheidung durchaus verstehen.
"(…) wenn man ökonomisch drauf blickt, dann wird man sagen müssen, dass so Portfoliobereinigung ja zum täglichen Geschäft gehören sollte, dass also wenig profitable Titel auch aus dem Programm genommen werden. Denn wenn man stückchenweise da vorgeht, dann erlebt man da als Verantwortlicher sicher mehr Gegenwind, als wenn man das im Paket verabschiedet."
Das dreigliedrige Problem sei offensichtlich: veränderte Lesegewohnheiten, abwandernde Werbekundschaft und eben, dass die Leute die Inhalte der Magazine auch im Internet lesen.
Dass die bei Zukäufen, Zusammenschlüssen und Schließungen immer gerne phrasenhaft bemühten Synergien tatsächlich eine Rolle spielen, glaubt Rott dagegen nicht.
"(…) die Managemenfusionsliteratur sagt (…) ziemlich deutlich, dass Synergien bei Mergern fast immer überschätzt werden."
Man hoffe tatsächlich gerade auf eine "crossmediale Synergie", also darauf, dass Zeitschriftentitel und Fernsehsendungen gut zusammenpassen. Aber diese Hoffnungen seien eigentlich immer enttäuscht worden. Tatsächlich habe es eigentlich immer nur funktioniert, wenn man möglichst wenig zusammengearbeitet habe, die Produktionsabläufe seien doch sehr unterschiedlich.
Was man bei Fusionen ebenfalls unterschätze: Dass Unternehmenskulturen nicht zusammenpassen. Und: die Managementhybris, also
"dass das übernehmende, stärkere Unternehmen eigentlich immer glaubt, Managemententscheidungen besser treffen zu können als das alte Management".
Die Einschätzung dazu, ob ein Geschäft profitabel ist, hängt dabei auch davon ab, was das übernehmende Unternehmen erwartet. Unter Umständen reicht es nicht aus, wenn ein Verlag oder ein Magazin einfach nur schwarze Zahlen schreibt.
Wo sind die Millionen geblieben?
Hannah Knuth ist in ihrer Analyse für "Die Zeit" (€) (mit dem leider sehr treffenden Titel "Altpapier") der Frage nachgegangen, wie es denn passieren konnte, dass aus den Millionengewinnen aus dem Geschäft am Baumwall nur noch ein paar Scheinchen blieben.
Nach den "Zeit"-Recherchen seien einige der Titel, die nun eingestellt oder verkauft werden sollen, weiter profitabel – etwa "Art", "Business Punk," "11 Freunde" oder "Geo Epoche". Auch der gesamte Verlag Gruner + Jahr sei im Bertelsmann-Geschäftsbericht 2021 noch als profitabel ausgewiesen worden, mit einem Gewinn von 134 Millionen Euro.
Danach seien einige gut laufende Geschäftsbereiche innerhalb des Konzerns umgesiedelt worden (unter anderem die Kommunikationsagentur "Territory" und der Software-Entwickler "Applike"). Rechne man das aus der Bilanz von 2021, bleibe immerhin noch ein Gewinn von 40 Millionen.
Am Dienstag sagte Rabe, im vergangenen Jahr habe das Magazingeschäft einen Gewinn von gerade mal einer Million Euro erwirtschaftet. Hanna Knuth fragt: "Wie können 39 Millionen Euro in einem Jahr verloren gehen?" Die Antwort liefert sie selbst: Es hänge davon ab, wie man rechnet.
Wie Thomas Rabe rechnet, ist allerdings nicht so richtig klar. Mehrere ehemalige Chefredakteure sagen, laut Knuth, bislang habe man lediglich geschaut, ob die Magazine ihre Kosten deckten. Jetzt gebe es, so Knuth, das Gerücht, Rabe rechne auch Kosten für die allgemeine Verwaltung aus IT, Personal- und Rechtsabteilung gegen.
Am Telefon hat Rabe der "Zeit" gesagt: "Den Magazinen steht ein Verwaltungsapparat gegenüber, der viel zu groß ist, der einfach nicht passt." Dabei habe er von Kosten in Höhe von 40 Millionen Euro gesprochen. Dass die Größenordnung in etwa zu dem Gerücht passt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es nicht ganz falsch ist.
Rabe sieht die Schuld für den gegenwärtigen Zustand bei der früheren Verlagsleitung, die es nicht geschafft habe, "ein digitales Wachstumsgeschäft rund um die Print-Marken zu entwickeln". Das frühere Management stelle die Sache anders dar. Aus Gütersloh sei kaum Geld für die Digitalisierung geflossen.
Hanna Knuth:
"Immerzu, heißt es, musste das Haus sparen und dabei weiterhin zweistellige Renditen abwerfen. Der Verlag habe nie in neue Geschäftsfelder investieren dürfen, dabei habe es dafür Pläne gegeben: 2012 wollte man das britische Marktforschungsunternehmen YouGov kaufen, das heute eine Milliarde wert sein soll. Doch die Bertelsmann-Philosophie lautete: Keine Tochterfirma sollte in eigene Geschäftsfelder investieren."
Was ist mit Thomas Rabe?
An beiden Darstellungen ist wahrscheinlich etwas Wahres. Hanna Knuth sieht ein "Managementversagen auf allen Ebenen". Man habe mit der Fusion von Gruner + Jahr mit RTL zwei sehr unterschiedliche Welten zusammenführen wollen. Dabei habe man große Pläne gehabt und viel angekündigt, unter anderem eine App, die Streaming, Audio und Magazine zusammenführt.
"Doch fast nichts klappte. Die App kam nicht wie angekündigt. Parallel versuchte man, Gruner-Marken ins Fernsehen zu bringen. Innerhalb kurzer Zeit machte man aus der Gala eine TV-Sendung auf RTL, aus Chefkoch auch. Viel zu schnell sei man dabei vorgegangen, sagen heute Mitarbeiter beider Häuser."
Laura Hertreiter skizziert in ihrer Analyse auf der SZ-Medienseite (€) auch die "desaströse Fusionsbilanz" von Thomas Rabe generell, der an der Misere möglicherweise nicht so unbeteiligt ist, wie er selbst es darstellt.
"Er ist in den USA mit der Milliardenübernahme des Buchverlags Simon & Schuster an Kartellbedenken gescheitert. In Frankreich versuchte er erfolglos, den RTL-Fernsehsender M6 an den Konkurrenten TF1 zu verkaufen. Der geplante Zusammenschluss des Luxemburger Callcenter-Betreibers Majorel, an dem Bertelsmann beteiligt ist, mit einem Konkurrenten: gescheitert – und in den Niederlanden gibt es Bedenken gegen eine Fusion von RTL mit dem Medienunternehmer John de Mol."
Ein Teil der Ursache könnte also auch Rabes eigene Orientierungslosigkeit sein. Laura Hertreiter schreibt:
"Gäbe es bei Bertelsmann einen funktionierenden Aufsichtsrat, stünde schon länger Thomas Rabe zur Debatte anstelle von zig Magazinredaktionen."
War die Entscheidung wirklich falsch?
Ob die Entscheidung wirtschaftlich richtig war, lässt sich aus heutiger Perspektive kaum sagen. Das könne man ohne Blick ins Unternehmen schwer einschätzen, sagt der Medienökonom Rott. Was man mit den von Rabe angekündigten Investitionen in Höhe von 80 Millionen Euro erreichen könne, sei nicht klar. Das Geld komme sehr spät. Konkurrenten wie Springer investierten schon lange sehr viel mehr Geld. Und die Strategie dort unterscheide sich gar nicht so sehr – nur sei man eben alles "früher und konsequenter angegangen".
Mit Blick auf die gegenwärtige Situation sieht Rott auch die Frage, ob "der vielleicht idealtypische, gutmeinende, publizistisch verantwortlich handelnde Verleger" auch nicht anders handeln könnte, "als da Anpassungen vorzunehmen, bei denen es auch dann Arbeitsplätze kostet".
Und das führt zu einer zentralen Frage, um die es gestern im Altpapier von René Martens bereits ging: Haben Verlage nicht auch bei solchen Entscheidungen die besondere Rolle, auf die sie so gerne verweisen, wenn es ihnen nützt?
Laura Hertreiter schreibt:
"Wenn Medienunternehmer Publizistik verkaufen wollen wie Schrauben und Wurst, läuft etwas ganz grundsätzlich falsch. Und zwar nicht im Journalismus."
Ralf-Dieter Brunowsky, früher "Capital"-Chefredakteur, schreibt in einem Gastkommentar für den Branchendienst "Meedia":
"Medien sind zentraler Bestandteil der Kultur eines Landes. Natürlich genießen auch sie keinen unüberwindbaren Schutzzaun. Sie müssen ihre Akzeptanz mit jeder Ausgabe beweisen. Aber ein Medienhaus, das sich zahlreiche Magazine leistet, muss auch die Präsenz kleinerer Medien zulassen, selbst wenn sie 'Beef'oder 'Business Punk' heißen und Verluste machen."
Wobei diese beiden Titel laut der "Zeit" eben nicht einmal Verluste machen, wie auch einige weitere, über die Brunowsky schreibt:
"Nur ist es so, dass die kleineren Medien tatsächlich fast ausnahmslos keine Verluste machen. Thomas Rabe ist ihr Gewinn zu niedrig. Das ist die simple Wahrheit. Der frühere Chef der Deutschen Bank Hilmar Kopper hat einst niedrige Gewinne als 'Peanuts' bezeichnet und dafür eine Menge Kritik eingesteckt. In solchem Denken steckt letztlich Verachtung für das Kleine. Große wollen eben nur Großes. Aber das macht sie in Wahrheit klein."
Der Medienökonom Rott differenziert an dieser Stelle. Er sagt, das sei so eine Sache mit der publizistischen Verantwortung. Die Frage sei, welche Art von Titel in Gefahr seien.
"Wenn es die dritte Line-Extension eines erfolgreichen Magazins ist, ist es vielleicht eher zu verschmerzen, als wenn publizistische Flaggschiffe in Gefahr geraten."
Und wenn publizistische Flaggschiffe in Gefahr geraten, stellt sich noch eine andere Frage – nämlich die, ob eine Digitalisierungsvitamspritze überhaupt das richtige Mittel ist. Ralf-Dieter Brunowsky schreibt:
"Der 'Stern’ zum Beispiel hat ein Problem, das durch die Digitalisierung nicht gelöst werden kann: Er ist als einstmals politisches Magazin bedeutungslos geworden."
Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Altpapierkorb (Fake-Satire, Studie zur russischer Propaganda, Medienskandal in Medienskandalland)
+++ Die russische Propaganda arbeitet mittlerweile auch mit gefälschter Satire, zum Beispiel mit Titelseiten von bekannten Magazinen, die so nie erschienen sind. Tenor der Fake-Satire: Europa hat keine Lust mehr auf Ukrainehilfe. Oder: Die Chefs der NATO-Staaten machen sich vor Angst in die Hose. Ilja Ber, Chefredakteur des Faktchecking-Portals "Provereno", hat dazu recherchiert und für das russische Exil-Medium "iStories" und das Online-Magazin "dekoder" geschrieben. Die FAZ hat die Recherche heute auf ihrer Medienseite (€) veröffentlicht.
+++ Eine weit verbreitete Überzeugung ist, dass Russland die Wahlen in den USA beeinflusst hat. Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das gar nicht stimmt. Christoph Drösser stellt die Studie für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" vor. Zwei zentrale Erkenntnisse sind. 90 Prozent der Menschen sahen die Propaganda-Tweets aus Russland gar nicht. Und: Die Personen aus der Studie, die sie sahen, haben ihre Wahlabsicht nicht geändert, denn sie waren fast alle schon vorher im Team Trump. Pia Behme hat mit dem Kommunikationswissenschaftler Alexander Sängerlaub über das Ergebnis der Studie gesprochen. Er sagt unter anderem: "Twitter ist nicht sonderlich repräsentativ." Das wichtigste Medium, sei immer noch das Fernsehen.
+++ In Österreich ist am Freitag der ORF-Landesdirektor Robert Ziegler zurückgetreten. Damit ist er möglicherweise seinem Rauswurf zuvorgekommen, denn bald soll ein kritischer Bericht erscheinen, in dem es unter anderem um den Vorwurf geht, er habe ein aus verschiedenen anderen Redaktionen bereits bekanntes "Klima der Angst" geschaffen und dafür gesorgt, dass die ÖVP in der Berichterstattung systematisch bevorteilt wird – oder wie Ralf Leonhard es in seinem Bericht für die taz schreibt: "Die Presse (sei) einem 'Wunschkonzert' für die regierende ÖVP gleichgekommen."
+++ Der Zeitungsverlegerverband aka Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat unter den Führzugskräften seiner Mitgliedsunternehmen wie in jedem Jahr Umfrage gemacht. Die zusammengefassten Ergebnisse hat der Verband in einer Pressemitteilung veröffentlicht: Eine kommentierte Zusammenfassung schnell schon hier: Es gibt drei irre Trends. Erstens: Die Verlage setzen jetzt doch immer mehr auf die digitale Kundschaft. Zweitens: Man soll die digitalen Angebote der Verlage jetzt auch so nutzen können, dass man es im Vergleich zur Zeitung nicht mehr unbedingt als Verschlechterung empfindet. Und drittens: Nach der großen Überraschung, dass sich für die Redaktionsfließbänder nur noch schwer Nachwuchs finden lässt, wenn die Bedingungen schlecht sind, probieren die Verlage es jetzt mit auch mal mit so ungewöhnlichen Maßnahmen wie einer besseren Unternehmenskultur.
+++ Im Zollern-Alb-Kreis kämpfen seit Anfang des Jahres zwei Zeitungen mit dem Titel "Zollern-Alb-Kurier" um die alternde Leserschaft (Altpapier). Das Ganze schnell erklärt: Die Ulmer "Südwestpresse" beliefert den lokalen Verlag, der den "Zollern-Alb-Kurier" herausgab, seit 50 Jahren mit einem Mantelteil. Als der kleine Verlag seine Lokalzeitung verkaufen wollte, hatte die Südwestpresse daher ein Vorkaufsrecht. Am Ende kam sie allerdings doch nicht zum Zuge, denn das Bundeskartellamt hatte Bedenken. Also griff die "Schwäbische Zeitung" aus Ravensburg zu. Und bei der "Südwestpresse" dachte man sich: Das ist aber jetzt auch blöd. Unseren Mantel kennen die Leute doch. Fehlt ja im Grunde nur der Lokalteil. Und den können doch ein paar junge Leute zusammenflicken. Das Ergebnis könnte man sehr schön verfilmen. Arbeitstitel: Es kann nur Einen geben. Oder je nach Ausgang: Ein Zollern-Albtraum. Josef-Otto-Freudenreich schreibt sehr ausführlich in der Wochenzeitung "Kontext" über den doppelten Alb-Kurier.
Das Altpapier von Donnerstag schreibt Annika Schneider.
Author: Cody Moore
Last Updated: 1704017882
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Name: Cody Moore
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Job: Meteorologist
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